WARSTEIN – Das Jahr 2022 wird für den Warsteiner Tennisprofi Jan-Lennard Struff in besonderer Erinnerung bleiben: Zum einen hatte der Sauerländer über zweieinhalb Monate mit einer langwierigen Fußverletzung zu kämpfen, verpasste dadurch mehrere Turniere wie beispielsweise die BMW Open in München und die French Open in Paris. Zudem rutschte der 32-Jährige in der Weltrangliste das erste Mal seit sechs Jahren aus den Top 75 und schloss das Sportjahr auf Platz 150 ab. Auf der anderen Seite wurde Struff im Oktober zum zweiten Mal nach 2019 Vater eines Sohnes. Zudem konnte er das deutsche Team im nicht für Weltranglistenpunkte relevanten Davis Cup mit starken Einzel-Leistungen zum Final-Turnier nach Malaga führen. Im großen Jahres-Interview spricht Jan-Lennard Struff über ein schwieriges Jahr, neue Aufgaben und das Karriere-Ende von Roger Federer.
Jan-Lennard, vor dem Start ins Jahr 2022 hast du dir als damalige Nummer 51 der Weltrangliste sportlich vorgenommen, weiter nach vorne kommen zu wollen. Jetzt beendest du das Jahr auf Platz 150. Wie fällt deine persönliche Bilanz aus?
Jan-Lennard Struff: Die Bilanz des letzten Jahres: Es war ehrlicherweise eine Katastrophe, ein absolut bitteres Jahr. Zuerst der schlechte Beginn, dann die Verletzung. Zwischenzeitlich ganz ordentlich gespielt, aber nicht den Schwung mitgenommen, den ich mir durch den Turniersieg in Braunschweig erhofft hatte. Der Jahresabschluss war immerhin besser und darauf will ich aufbauen.
Du hast es bereits angesprochen: Einen negativen Fokus hatte die Fußverletzung resultierend aus dem ATP-Masters in Miami eingenommen. Die erste größere Verletzung in deiner bisherigen Karriere. Wie blickst du auf diese Verletzung und die folgende Ausfallzeit zurück?
Jan-Lennard Struff: Das war natürlich bitter, so etwas habe ich bislang noch nicht erlebt. Aber wenn ich auf die vergangenen zehn Jahre meiner Profi-Karriere zurückblicke, bin ich echt selten wegen Verletzungen ausgefallen. Deswegen sollte ich mich eher glücklich schätzen, dass ich viel spielen konnte und sehr wenig ausgefallen bin.
Nach einem schwachen Start mit nur einem Sieg im ersten Quartal musstest du den Start in die Sandplatzsaison in der Regeneration am Bildschirm verfolgen. Wie schwer ist dir das gefallen?
Jan-Lennard Struff: Das war ein mieses Gefühl. Zum einen hat es mich interessiert, zum anderen wollte ich es nicht sehen, weil ich eigentlich dort auf dem Platz gestanden hätte.
Beim Grand-Slam-Turnier von Roland Garros, wo du 2019 und 2021 die 4. Runde erreichen konntest, warst du durch eine aufgetretene Folgeverletzung zum Zuschauen verdammt. Schmerzte dieser Ausfall besonders?
Jan-Lennard Struff: Das Ärgerliche war, dass ich eigentlich kurz vorher im Mai mit einem Challenger wieder einsteigen wollte, aber ich habe mir auf dem Weg zum Comeback nach erhöhter Trainingssteigerung eine Mikro-Fraktur im Mittelfuß zugezogen. Wenn der Knochen durchgebrochen wäre, wäre ich länger ausgefallen und deswegen musste ich vorsichtig sein und konnte noch nicht wieder einsteigen.
Dadurch konntest du die 180 Weltranglistenpunkte aus dem Vorjahr nicht verteidigen, fielen kurz zuvor zudem 150 Weltranglistenpunkte durch das ATP-Finale 2021 in München aus der Wertung. Wie herausfordernd war es für dich und deinen Kopf, in der Zeit tatenlos zusehen zu müssen, wie es in der Weltrangliste Stück für Stück nach unten ging?
Jan-Lennard Struff: Es waren nicht nur diese beiden Turniere. Insgesamt sind mir viele Punkte in der Sandplatz-Saison flöten gegangen und deswegen freue ich mich jetzt schon auf die Asche-Turniere in 2023. Für mein Ranking zum Ende des Jahres waren diese fehlenden Punkte ein Killer.
Dein Comeback hast du mit dem Start in die Rasen-Saison in Stuttgart gegeben. Auf einen Auftaktsieg folgten hauchdünne Niederlagen in Stuttgart, Halle und vor allem Wimbledon. Beim Grand-Slam-Turnier in London warst du der momentanen Nummer eins der Welt, Carlos Alcaraz, mit 6:4, 5:7, 6:4, 6:7, 4:6 unterlegen. Haben dir die knappen Spiele nach der Verletzung eher gezeigt, dass du nah an den anderen Spielern dran bist, oder hat es das Comeback schwerer gemacht?
Jan-Lennard Struff: Es war in diesen Matches natürlich gut zu sehen, dass ich mithalten konnte. Nach dem engen Sieg in Stuttgart folgten zwei knappe Niederlagen. Auch wenn ich mich über den Ausgang im Alcaraz-Match in Wimbledon ärgere, habe ich mich nach dem Spiel zumindest über meine Leistung freuen konnte. Da habe ich gut gespielt und alles gegeben auf dem Platz. Das Match war wichtig und hat mir Schwung für die nächste Aufgabe in Braunschweig gegeben.
Beeindruckend waren auf Challenger-Ebene vor allem der Turnier-Erfolg ohne Satzverlust in Braunschweig und das Finale in Bergamo. Eine Reaktion auf der ATP-Tour gelang dir dagegen bis auf das Erreichen des Viertelfinals in Sofia Ende September nicht, bist du zudem in der Qualifikation zu den US Open ausgeschieden. Welche Gründe siehst du für diese Unterschiede?
Jan-Lennard Struff: Ich muss sagen, dass das Level sich auf der Challenger-Ebene enorm verbessert hat. Das Grundlevel im Vergleich zu damals hat sich stark verbessert. Man sieht es auch an den Ergebnissen, das ist einfach kein Selbstläufer. In Braunschweig habe ich richtig gut gespielt, aber danach habe ich einfach keine guten Performances gezeigt. Das Level ist hoch, die Dichte ist besser geworden. Natürlich ist es auch eine Umstellung, weil einige Turniere auf Challenger-Ebene nicht so gut organisiert sind wie ATP-Turniere. Braunschweig ist zum Beispiel als überragend organisiertes Challenger-Turnier hervorzuheben, aber das sind nicht alle. Das ist eine Umgewöhnung, weil es unterschiedlich zu ATP-Abläufen ist. Daran muss ich mich jetzt wieder gewöhnen.
Besonders waren dafür deine Auftritte im Davis Cup: Zuerst hattest du mit drei Einzel-Siegen in der Gruppenphase entscheidenden Anteil am Erreichen des Final-Turniers in Malaga. Dort hast du im Duell mit Denis Shapovalov, dem Weltranglisten-18. aus Kanada, ebenfalls mit einem Einzelsieg vorlegen können, endete die deutsche Reise dennoch in diesem Viertelfinale gegen den späteren Sieger aus Nordamerika. Welches Gefühl gibt dir der Zusammenhalt im Davis-Cup-Team?
Jan-Lennard Struff: Wir haben ein besonderes Team. Und damit meine ich nicht nur die Spieler, sondern auch das Team um das Team. Wir verbringen viel Zeit miteinander und haben super viel Spaß zusammen. Das Gefühl hat man bei den ATP-Turnieren nicht so oft, weil man da mit seinem eigenen kleineren Team unterwegs ist. Die Zeiten sind immer etwas Besonderes.
Dieses gute Gefühl möchtest du auch in deine persönliche kommende Saison mitnehmen. Wie bereiten du dich auf 2023 vor?
Jan-Lennard Struff: Nach dem Davis Cup Ende November war ich mit der Familie für eine Woche im Urlaub. Danach sind wir mit der Vorbereitung gestartet. Dazu gehörte eine Woche Trainingslager auf Teneriffa. Vor Weihnachten habe ich dann wieder in Deutschland trainiert, bevor es am 27. Dezember in Richtung Challenger-Turnier in Canberra ging.
Worauf hast du mit Trainer Carsten Arriens in diesem Winter den Fokus gelegt?
Jan-Lennard Struff: Wir wollten in diesem Jahr in der Vorbereitung mal wieder wegfahren, weil es in den vergangenen beiden Jahren nicht möglich war. Vor vier Jahren hatten wir bereits eine gute Vorbereitung in Teneriffa, deswegen hatten wir uns wieder für die kanarische Insel entschieden. Natürlich wäre ich gerne bei meiner Familie gewesen, aber auf Teneriffa stimmen die Bedingungen und dort konnte ich einen richtigen Rhythmus reinbekommen, ohne gewisse Ablenkungen zu haben. Training, Training, Training, schlafen gehen. Training, Training, Training, schlafen gehen. Dieser Rhythmus ist wichtig für mich.
Wie sieht die Zeit nach der Vorbereitung und vor dem Saisonstart aus?
Jan-Lennard Struff: Ich starte mit dem Challenger in Canberra und dann steht die Qualifikation zu den Australian Open an. Danach sind noch ein paar weitere Challenger, ehe es hoffentlich zum Davis Cup nach Trier geht. Ich weiß noch nicht, ob ich nominiert werde, aber ich wünsche es mir.
Du hast es angesprochen: Du verbringst die Weihnachtstage mit deiner Familie, die im Oktober um einen weiteren Sohn gewachsten ist. Gibt dir das noch mal einen besonderen Schub für kommende Aufgaben?
Jan-Lennard Struff: Ich hoffe natürlich, dass mir das noch mal einen Schub geben wird. 2019, als mein erster Sohn geboren wurde, hatte ich danach erfolgreiche Monate. Vielleicht wird es dieses Mal wieder so. Das Wichtigste ist, dass wir zwei gesunde Kinder haben.
Hast du dir konkrete Ziele für die anstehenden Aufgaben und das kommende Jahr gesetzt?
Jan-Lennard Struff: Nein, ich habe mir keine konkreten Ziele gesetzt. Ich muss jetzt die Schnauze halten und arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und dann sehen wir, was dabei herausspringt.
Was muss deiner Meinung nach besser werden?
Jan-Lennard Struff: Durch die Verletzung und eine COVID-Erkrankung hatte ich nicht den Rhythmus, viele Turniere in Folge zu spielen. Das ist schlecht gelaufen und zudem habe ich auch nicht gut gespielt. Im vergangenen Jahr war zudem meine Vorbereitung sehr kurz. Ich möchte jetzt einfach wieder zu meinen Routinen und Basics zurückkehren und dann schauen, was dabei rumkommt.
2023 wird Roger Federer nicht mehr einer deiner Kontrahenten auf der Tour sein. Wie hast du seinen Abschied erlebt und was hat er für deine Karriere bedeutet?
Jan-Lennard Struff: Das ist sehr schade, er hat vermutlich für jeden Tennisspieler eine Bedeutung in der eigenen Karriere gehabt. Er war ein unfassbarer Spieler. Ich will die Diskussion um den besten Spieler aller Zeiten gar nicht aufmachen, aber die drei Jungs (Federer, Nadal, Djokovic / Anm. d. Red.) sind einfach unglaublich. Was Roger in seiner Karriere geleistet hat, ist besonders, und er hat so viele Spieler inspiriert. Es ist natürlich schade, dass er aufgehört hat, aber ich denke, es war ein schöner Abschluss seiner Karriere.
Du bist in deiner Einzel-Karriere vier Mal auf den Schweizer getroffen. Gibt es besondere Erinnerungen, an die du gerne zurückdenkst?
Jan-Lennard Struff: Es gibt keine besonderen Erinnerungen, aber ich bin sehr glücklich, dass ich bei den Australian Open, Wimbledon, Halle und Basel jeweils auf dem Center Court gegen ihn spielen durfte. Das waren Top-Matches und es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht, mit ihm den Platz zu teilen.
Bevor du dich aus 2022 verabschiedest: Was wünschst du dir persönlich und anderen Menschen für das Jahr 2023?
Jan-Lennard Struff: Ich wünsche mir, dass meine Familie gesund bleibt und hoffe, dass wir alle ein schöneres neues Jahr haben werden.