WARSTEIN – 26 Siege, 30 Niederlagen: So lautet die fast normal klingende Summe an Matches, die der Warsteiner Tennisprofis Jan-Lennard Struff in dieser Saison gespielt hat. Doch auch in diesem Jahr haben die Umstände der Pandemie das Leben global eingeschränkt – und damit logischerweise auch das der Tennis-Elite. Nachdem in 2020 viele Turniere noch ausgefallen waren, wurden in diesem Jahr viele davon wieder ausgetragen oder an anderen Orten alternativ aufgesetzt. Doch dafür mussten Struff und die anderen Profis teilweise besondere Maßnahmen eingehen. Beispielsweise musste zum Auftakt in Australien zuerst eine zweiwöchige Hotelzimmer-Quarantäne bestritten werden, ehe unter weiterhin strikten Bedingungen gespielt werden konnte. Ebenfalls außergewöhnlich war für den Warsteiner auch seine zweite Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio, nahm die Pandemie bedingte Austragung vor leeren Rängen allerdings auch viele Reize, die Olympia ansonsten auszeichnen. Sportlich hat der 31-Jährige ein Jahr mit Höhen und Tiefen erlebt, über das er im ausführlichen Interview spricht.
Jan, die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel stehen an. Freust du dich auf die Tage und wie sehen sie bei dir und deiner Familie aus?
Struff: Heiligabend feiern meine Freundin und ich mit unserem Sohn und ihrer Familie, am ersten Weihnachtstag kommt meine Familie zu Besuch. Am 26. fliege ich dann schon in Richtung Australien. Ich freue mich auf jeden Fall auf Weihnachten mit der Familie. Wir hatten in den vergangenen Tagen gute Trainingseinheiten, auch wenn die Zeit nach dem Davis Cup ein bisschen knapper war, sodass ich mich jetzt guten Gewissens darauf freuen kann.
Was gibt’s bei euch auf die Teller?
Struff: Bei meiner Familie gibt’s Sauerbraten. Da ich den nicht ganz so gerne esse, gibt es für mich ein Filet-Steak.
Sportlich liegt wieder ein bewegtes Jahr hinter dir und den anderen Profis auf der ATP-Tour. Die Pandemie hat wie im Vorjahr den Kalender durcheinander geworfen und auch die Bedingungen stark verändert. Wie hast du die zweite Saison in der Pandemie erlebt?
Struff: Es war schwierig. Natürlich war es gut, dass wir überhaupt spielen konnten und die Bedingungen sich im Gegensatz zu 2020 verbessert haben. Im Vorjahr war es nicht immer einfach, wenn man abseits des Platzes nur in seinem Zimmer sein durfte, das ist jetzt schon deutlich besser gewesen. Trotzdem fehlen einem die Zuschauer.
Mein erstes ATP-Finale war sehr wichtig für mich
Jan-Lennard Struff über dein Endspiel-Debüt auf ATP-Ebene in München
Durch eben diese Bedingungen wurde der Start in die Saison etwas verzerrt, musstet ihr in Australien zuerst in eine zweiwöchige Quarantäne im Hotelzimmer, bevor ihr zum ATP Cup und den Australian Open antreten durftet. Wie beurteilst du deinen Start in das Jahr sportlich vor dem Hintergrund der Umstände?
Struff: Der Start lief gut. Ich hatte gute Matches beim ATP Cup und hatte vor allem Glück, dass ich nicht in einem Flieger saß, in dem es positiv getestete Personen gab. Dadurch konnte ich in meiner Quarantäne immerhin noch trainieren. Andere waren 14 Tage lang komplett abgesperrt in ihren Zimmern. Nach dem ATP Cup hatte ich leider schlechte Australian Open mit dem Aus in der ersten Runde. Da hatte ich mir mehr vorgestellt.
Highlights konntest du in der Sandplatz-Saison setzen, zuerst mit deinem ersten ATP-Finale in München. Was hat dir das bedeutet, auch wenn du gerne gewonnen hättest?
Struff: Es ist verrückt, dass es nach so vielen Jahren auf der Tour das erste ATP-Finale war. Aber es hat mir viel bedeutet und war sehr wichtig für mich.
Du spielst gerne vor deutschem Publikum, hattest 2014 in München auch dein zweites Halbfinale bei einem ATP-Turnier gespielt. Liegen dir die Umstände in der bayrischen Landeshauptstadt?
Struff: Ich mag München echt gerne. Das ist ein Super-Turnier in einer schönen Stadt und die Umstände liegen mir. Dadurch das es höher gelegen ist, ist das Spieltempo etwas schneller. Das mag ich und liegt meinem Spiel.
Ein weiteres Ausrufezeichen hast du beim Turnier von Roland Garros (French Open) setzen können. Zum zweiten Mal nach 2019 bist du dort in die zweite Woche gekommen und hast wieder ein begeisterndes Turnier gespielt. Du warst bei vielen Grand Slams: Sind die French Open dein Lieblingsturnier?
Struff: Ich bin auf Asche aufgewachsen, habe in meiner Jugend am meisten auf dem Belag gespielt. Außerdem war ich mit 14, 15 Jahren mit meiner Mutter schon mal bei den French Open. Weil es damals keine freien Hotels mehr gab, haben wir im Auto übernachtet. Es freut mich jetzt selbst, dass auch deutsche Fans dort hinkommen und die Unterstützung von den Rängen immer groß ist. Die vergangenen Jahre waren besonders, weil ich zwei Mal in die zweite Woche eines Grand Slams gekommen bin. Ich kann mich mit den French Open sehr identifizieren.
Nach sehenswerten Siegen gegen Andrey Rublev, Facundo Bagnis und Carlos Alcaraz bist du im Achtelfinale auf den quirligen Argentinier Diego Schwartzman getroffen (6:7, 4:6, 5:7). Neben einer umkämpften Partie blieb unter anderem auch der erste Durchgang im Kopf, in dem du einige Satzbälle hattest. Denkst du noch häufig daran?
Struff: Nein, daran denke ich nicht mehr. Das ärgert mich zwar, aber es gibt einfach gute Matches und schlechte Matches, in denen man Chancen vergeben hat. Das gehört zum Sport dazu.
War dieses Match für den weiteren Saisonverlauf vielleicht auch ein Knackpunkt oder kannst du das mit deiner Erfahrung mittlerweile besser verarbeiten?
Struff: Natürlich hätte es mir einen positiven Schwung gegeben, wenn ich es gewonnen hätte, aber als Knackpunkt würde ich es nicht bezeichnen. Es war ja insgesamt ein gutes Turnier für mich.
In der Folge blieben bei dir die Ergebnisse aus. Wie analysierst du die Phase bis zum Herbst?
Struff: Das war eine wirklich schlechte Phase. Ein Auf-und-ab in diesem Jahr und mit den Ergebnissen im Sommer bin ich nicht zufrieden.
Mit Ergebnissen im Sommer nicht zufrieden
Jan-Lennard Struff über fehlende Siege Mitte des Jahres
Besonders waren für dich mit Sicherheit die olympischen Spiele, bei denen du erstmals ein Match gewinnen konntest, bevor du gegen die Nummer eins der Welt, Novak Djokovic, in der zweiten Runde den Kürzen ziehen musstest. Dafür hast du im Doppel mit Alexander Zverev das Viertelfinale erreicht. Was bedeutet Olympia für dich?
Struff: Olympia war ein absolutes Highlight für mich. Das Viertelfinale hätten wir natürlich gerne gewonnen, um die Chance auf eine Medaille zu wahren, aber an dem Tag waren die Gegner einfach besser, das muss man zugeben. Trotzdem war es wieder unglaublich besonders bei den olympischen Spielen.
Wie in München scheint auch das ATP-Turnier in St. Petersburg ein gutes Pflaster für dich zu sein. Dort konntest du im Herbst, wie bereits in 2017, wieder das Halbfinale erreichen. Wie wichtig war dieses Turnier für dich, um zurück in die Spur zu finden?
Struff: Es war sehr wichtig für mich, dieses Turnier so erfolgreich zu spielen. Das hat das Jahr für mich ein bisschen versöhnlicher beendet, weil ich nicht happy war, wie ich im Sommer performt habe. Die Ausschläge nach oben waren natürlich top, aber es gab einfach zu viele davon auch nach unten.
Zum Ende der Saison standen die Davis Cup Finals an, die noch aus dem Vorjahr nachgeholt wurden. Ein Wettbewerb, der dir wichtig ist, weil du gerne im Team und für Deutschland spielst. Ihr habt das Halbfinale erreicht, in dem ihr dem späteren Sieger Russland unterlegen seid. Wie fällt dein Fazit für euren Auftritt aus?
Struff: Ich bin mega stolz, Teil des Teams zu sein und stolz auf alle, die dabei waren – nicht nur auf die Spieler, sondern auch auf das Betreuer-Team. Es war unfassbar, dass wir bis ins Halbfinale vorgedrungen sind. Natürlich wären wir gerne noch einen Schritt weiter gegangen, das war der Traum von uns allen, aber Russland war einfach zu stark an dem Tag. Das Erreichen des Halbfinals hätte uns im Vorfeld kaum jemand zugetraut, deswegen war es ein guter Jahresabschluss. Das macht immer mehr Freude auf das nächste Jahr, als mit einem schlechten Ergebnis aufzuhören.
Mega stolz, Teil des Davis-Cup-Teams zu sein
Jan-Lennard Struff nach dem Erreichen des Halbfinals im Davis Cup
Die Pause nach der Saison war für dich und die anderen Davis-Cup-Teilnehmer eine kurze. Wie sahen die vergangenen Wochen bei dir aus und wie ist der Plan bis zum Saisonstart?
Struff: Die Vorbereitung war kürzer und wir mussten sie etwas umstellen. Ansonsten bin ich meistens bereits im November gestartet, jetzt war es durch den Davis Cup erst später möglich. Ich hatte danach eine Woche Urlaub, hatte aber nach dem letzten ATP-Turnier bis zum Davis Cup bereits viel im Kraftbereich gearbeitet, weil Kraftsubstanz länger anhält als konditionelles Training. Ich würde diese Herangehensweise insgesamt als gut und wichtig beurteilen.
Worauf habt ihr in der Vorbereitung mit Trainer Carsten Arriens und Fitness-Coach Uwe Liedtke den Fokus gelegt?
Struff: Wir haben alle Bereiche trainiert, aber den Fokus ein bisschen anders gesetzt. Wir haben etwas mehr Ausdauer gemacht und in Australien wollen wir noch an der Schnelligkeit arbeiten.
Wie sieht dein Turnierplan aus? Womit eröffnest du das Jahr und welche Turniere folgen?
Struff: Gestartet wird beim ATP Cup in Sydney, danach geht’s zum ATP-Turnier nach Adelaide, bevor die Australian Open anstehen. Der Plan für die Turniere danach steht noch nicht.
Ihr habt ein richtig gutes Team für den ATP Cup, doch die Gruppe mit Großbritannien, den USA und Kanada ist anspruchsvoll. Bei euch ist wie immer das Maximum das Ziel, aber wie schätzt du eure Chancen ein?
Struff: Wir haben ein geiles Team, „Sascha“ Zverev wird auch dabei sein. Über Ziele haben wir noch nicht gesprochen, aber wir haben eine schwere Gruppe, die wir erstmal überstehen müssen.
2018 bist du als 57. der Welt zum Jahresende ins Ziel eingelaufen, 2019 als 35., 2020 als 36. Dieses Jahr beendest du als Nummer 51 der Weltrangliste. Was sind unabhängig von der Platzierung deine Ziele für das kommende Jahr?
Struff: Ich möchte wieder weiter nach vorne kommen. Das Jahr hat mich nicht zufrieden gestellt, auch wenn ein paar gute Sachen dabei waren.
Im Doppel hattest du in den vergangenen zwölf Monaten weniger gespielt. Habt ihr den Fokus bewusst auf das Einzel gelegt oder möchtest du im neuen Jahr wieder mehr Doppel spielen?
Struff: Das stimmt, im vergangenen Jahr war es weniger. Im kommenden Jahr werde ich wieder ein bisschen mehr Doppel spielen und meinen Kalender daran anpassen.
Du bist offiziell seit 2009 auf der Tour, hast vor allem in den vergangenen zehn Jahren viele Erfahrungen gesammelt. Was hat dich am meisten geprägt und kannst du wichtige Erkenntnisse nennen, die dich in deiner Herangehensweise beeinflussen?
Struff: Man lernt von Jahr zu Jahr dazu. Mit einem zweieinhalb Jahre alten Sohn ist es natürlich auch eine andere Situation. Aber ich habe viele gute Leute in meinem Umfeld, die mich gut beraten und mit denen ich den Weg gut gehe. Ich bin viel professioneller uns selbstständiger geworden. Das sehe ich als wichtige Entwicklung.
Du hast bereits viel in deiner Karriere erreicht, hast unglaublich viel erlebt. Hast du trotzdem spezielle Ziele für den Rest der Karriere?
Struff: Olympia 2024 in Paris ist ein Ziel, das ich habe und darüber hinaus möchte ich noch ein paar Jahre professionell spielen.
Deine aktuelle Karriere-Bilanz im Einzel liegt bei 164 Siegen und 191 Niederlagen. Ist es ein Ziel, diese Bilanz noch auszugleichen oder positiv zu gestalten?
Struff: Natürlich wäre es großartig, diese Bilanz ins Positive zu bringen, aber das wird eine sehr schwierige Aufgabe. Versuchen werde ich es trotzdem.
Anfangen kannst du dann zum Auftakt beim ATP Cup in Australien. Wir wünschen dafür viel Erfolg und danken dir für das Interview.