WARSTEIN – Wie die meisten blickt auch Jan-Lennard Struff auf ein außergewöhnliches Jahr 2020 zurück. Im großen Jahres-Interview spricht der 30-Jährige über Höhen und Tiefen, die besondere Beziehung zu seinem Trainer, Träume für die Zukunft und den Umgang mit Hassnachrichten in den Sozialen Medien.
Jan-Lennard, wie geht es dir und wie waren deine Feiertage?
Struff: Mir geht’s gut, danke! Wir hatten als Familie schöne Weihnachtstage und im Rahmen des Pensums meiner Vorbereitung tat es gut, drei Tage Pause zu machen. Das war sehr wichtig.
Wie sah es kulinarisch aus?
Struff: Heiligabend haben wir Lachs mit Gemüse und Kartoffeln gegessen.
Durch die Pandemie hat sich der Tour-Kalender nach hinten verschoben, du startest etwas mehr als eine Woche später in die Saison als in all den Jahren zuvor. Kannst du dem Ganzen vielleicht etwas Positives abgewinnen, weil du die Feiertage mehr mit deiner Familie genießen konntest als sonst?
Struff: Ich werde das erste Mal seit langer Zeit wieder einen Silvesterabend zu Hause verbringen. In den vergangenen Jahren war mir das aufgrund der dann bereits startenden Turniere nicht möglich. Dieses Jahr war und ist es ein bisschen ruhiger.
Bevor wir den Blick in das neue Jahr werfen, schauen wir auf die vergangen 12 Monate, die größtenteils durch die Pandemie geprägt waren. Auch ihr Profisportler wart stark betroffen. Wenn man versucht, etwas Positives daraus zu ziehen, ist es dann die Tatsache, dass du deine Familie mit deinem ein Jahr alten Sohn Henri häufiger sehen konntest?
Struff: Es ist irgendwie eine merkwürdige Zeit, weil ich selten so lange zu Hause war, aber ich genieße es auf jeden Fall und bin dankbar dafür, dass ich die schwierige Zeit mit meiner Familie nutzen kann und konnte!
Gab es noch andere Dinge, für die man die Zeit nutzen konnte?
Struff: Ich habe trotzdem trainieren können und meine Fitness weiter aufgebaut. Wir haben unsere Einheiten im Frühjahr und Sommer durchgehend absolviert, auch wenn es nicht immer auf dem höchsten Level war, weil wir nicht absehen konnten, wie sich die Situation entwickeln würde.
“Eine herausfordernde Zeit”
Jan-Lennard Struff über die Ungewissheit während der Pandemie
Wenn wir das Jahr sportlich betrachten: Wie fällt dein Fazit für die ersten beiden Monate aus, die regulär gespielt werden konnten?
Struff: Ich bin eigentlich ganz gut in die Saison gestartet. Der ATP Cup zum Auftakt hat Spaß gemacht und ich konnte gute Matches abliefern. Es war natürlich schade, dass ich direkt in der ersten Runde der Australian Open gegen Novak Djokovic antreten musste, aber ich hatte danach gute Turniere.
Anschließend war das Masters-Turnier in Indian Wells das erste, das gecancelt werden musste, ehe eine etwas mehr als fünfmonatige Pause der ATP Tour bevorstand. Wie betrachtest du diese Zeit rückblickend mit den Erfahrungen, die du gemacht hast?
Struff: Das war und ist für uns alle eine herausfordernde Zeit, weil wir so etwas vorher noch nicht erlebt haben. Es ist schwer, ein Fazit dazu zu ziehen.
Mitte August hat die ATP dann ihren Spielbetrieb wiederaufgenommen. Du konntest einen beeindruckenden Start hinlegen, hast beim Cincinnati Masters und den US Open, beide Turniere wurden in New York ausgetragen, sehr gute Auftritte hingelegt und viele Matches gewonnen. Anschließend hast du diese Konstanz allerdings nicht mehr bestätigen können, hast bei den Turnieren maximal die zweite Runde erreicht. Wie bewertest du die unterschiedlichen Phasen und siehst du Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse?
Struff: Es ging sehr gut los und ich wurde für den Aufwand, den ich in der Vorbereitung betrieben habe, bestätigt. Danach gab es ein paar Ups and Downs. Mit dem Ende bin ich nicht zufrieden. Da war ich ein bisschen auf der Suche nach meiner Form. Gründe kann ich konkret gar nicht benennen.
In der Pandemie haben sich ATP und ITF auf eine Verlängerung der eigentlich 52-wöchigen Wertungszeit für die Weltrangliste verständigt, um die fehlenden Turnier-Monate zu kompensieren. Du wirst 2020 mit einer 15:15- Bilanz auf Platz 36 der Weltrangliste abschließen. Wie zufrieden stimmt dich das hinsichtlich der außergewöhnlichen Bedingungen, die ihr hattet?
Struff: Ich wäre natürlich gerne mit einer positiven Bilanz aus dem Jahr gegangen. Die Bedingungen waren schwierig für uns, wir mussten die Zeit während der Turniere fast durchgehend in unseren Hotelzimmern verbringen. Das war nicht optimal, aber man darf auch nicht vergessen, wie schwierig es für die Organisatoren war, ein Konzept aufzustellen, damit die Turniere trotz der besonderen Bedingungen überhaupt stattfinden können. Ich bin dankbar, dass es möglich gemacht wurde und die Turniere ausgetragen werden konnten.
“Wichtig für mich, dass ich es erstmals in die Top 30 geschafft habe”
Struffi über sein Karrierehoch auf Platz 29 der Weltrangliste
Deine Jahresend-Platzierungen der vergangenen fünf Jahre: 107/2015, 63/2016, 53/2017, 57/2018, 35/2019, 36/2020. Du hast in dieser Zeit eine enorme Verbesserung in der Weltrangliste erlebt. In diesem Jahr hast du die höchste Platzierung deiner Karriere erreicht (29/Anm. der Red.). Wie wichtig sind solche Meilensteine für dich?
Struff: Es war sehr wichtig für mich, dass ich es erstmals in die Top-30 geschafft habe. Ich möchte unbedingt wieder dahinkommen und werde hart dafür arbeiten.
Seit August 2015 betreut dich Carsten Arriens und ihr konntet gemeinsam außergewöhnliche Erfolge feiern. Wie sieht die Zusammenarbeit bei euch aus und welche Bedeutung hat er für dich?
Struff: Carsten hat eine sehr große Bedeutung für mich. Seitdem ich mit ihm zusammenarbeite, habe ich mich menschlich und spielerisch unglaublich entwickelt. Man darf aber nicht unterschlagen, dass ich mit Uwe (Fitnesstrainer Uwe Liedtke/Anm. d. Red.) noch länger zusammenarbeite und ich von ihm ebenfalls menschlich, aber auch hinsichtlich der Fitness große Fortschritte gemacht habe.
Ist es also nicht nur ein Trainer-Spieler-Verhältnis, sondern auch ein freundschaftliches?
Struff: Carsten ist für mich eine wichtige Bezugsperson, mit der ich auch mal abseits des Platzes sprechen kann. Ich schätze ihn als Mensch und als Trainer.
Du sprichst erfahrungsgemäß nicht über Ziele, die ihr euch im Team gesteckt habt, aber welche Träume hast du, die du dir, vielleicht ja schon in 2021, sportlich noch erfüllen möchtest?
Struff: Träume habe ich viele: Ich möchte gerne noch einmal die zweite Woche bei einem Grand-Slam-Turnier erreichen, würde gerne mit Deutschland im Davis Cup und beim ATP Cup weit kommen. Auch ein Turniersieg im Einzel ist noch etwas, das ich erreichen möchte.
Im kommenden Sommer sollen die Olympischen Sommerspiele in Tokio nachgeholt werden. Du hast 2016 in Rio de Janeiro erstmals daran teilnehmen dürfen. Was ist für dich das Besondere an den Spielen?
Struff: Diese Atmosphäre war unglaublich. Ich erinnere mich gerne an die Zeit zurück. Es ist schade, dass Tennis bei den Olympischen Spielen direkt am Anfang stattfindet, wir danach abreisen müssen und nicht den ganzen Spirit von Olympia mitbekommen können. Aber Tokio ist ein großes Ziel für mich und ich möchte unbedingt dabei sein!
Nicht nur durch die olympischen Spiele, vor allem auch durch die Pandemie gestaltet sich der Tourkalender im kommenden Jahr deutlich verändert. Wie werden für dich die ersten Wochen im neuen Jahr aussehen?
Struff: Zum Auftakt spiele ich in Antalya. Am 14. Januar geht es dann nach Australien. Dort müssen wir uns für zwei Wochen in eine abgeschirmte Quarantäne begeben, in der wir aber trainieren dürfen. Danach steht zuerst der ATP Cup an, ehe die Australian Open beginnen sollen. Ich bin positiv überrascht, dass die ATP in dieser besonderen Situation einen so guten Kalender auf die Beine gestellt hat. Ich hoffe, dass alles so stattfinden kann wie geplant.
Seit Ende November bereitest du dich bereits vor. Worauf habt ihr in den Trainingswochen den Fokus gelegt?
Struff: Wir haben in der Vorbereitung einen großen Fokus auf Fitness gelegt. Die Einheiten haben einen großen Teil eingenommen, aber ich habe natürlich auch im DTB-Stützpunkt in der Halle in Kamen trainiert.
“Meinem Sohn wünsche ich, dass er irgendwann seine Träume erfüllen kann, dabei werde ich ihn unterstützen”
Struffi über die Wünsche für die Zukunft
Du hattest zu Jahresbeginn nach einem richtig guten Start mit deinem neuen Doppelpartner Henri Kontinen zuletzt weniger Doppelmatches bestritten. Gab es dafür Gründe und wie wirst du das neue Jahr im Doppel angehen?
Struff: Wir hatten eine gute Zeit mit guten Turnieren. Im kommenden Jahr werde ich mich nicht durchgängig zum Doppel verpflichten und dadurch nicht mehr durchgehend zusammen mit Henri spielen. Ich werde aber hin und wieder mal einige Doppel einstreuen.
Seit etwas mehr als einem Jahr bist du wieder bei Instagram und zeigst seitdem vieles aus deinem privaten und sportlichen Alltag. In diesem Jahr hast du aber auch darauf aufmerksam gemacht, dass Einzelsportler auf ihren sozialen Kanälen mit Hassnachrichten konfrontiert werden. Wie bist du zu diesem Entschluss gekommen, das Thema öffentlich zu machen?
Struff: Ich hatte mich mit Laura Siegemund (Deutsche Fed-Cup-Spielerin/Anm. d. Red.) unterhalten, die solche Nachrichten auf ihren Kanälen ebenfalls öffentlich gemacht hat. Viele Menschen wissen gar nicht, was man als Sportler für Nachrichten empfängt und darauf wollte ich aufmerksam machen.
Zum Abschluss: Was wünschst du dir selbst, aber auch deinen Liebsten und deinen Fans für 2021?
Struff: Ich wünsche allen Gesundheit und dass sie ein tolles Leben mit viel Spaß haben. Meinem Kleinen wünsche ich, dass er irgendwann seine Träume erfüllen kann, dabei werde ich ihn unterstützen. Natürlich wünsche ich auch meiner Familie alles Gute. Ich hoffe, dass wir als Gesellschaft die aktuell schwierige Zeit schnell überstehen werden.